Mitteilungsblatt der Gemeinde Pentling
15 Pentlinger Mitteilungsblatt Ausgabe 11/2020 die historische seite Vorbemerkung: „Baiern“ bzw. „bairisch“ wird im Folgenden mit i geschrieben und betrifft das ursprüngliche mittelalterli- che und neuzeitliche Dialektgebiet und Herzogtum – die Schreibweise mit y besteht erst seit 1825 für das politische Ter- ritorium des damaligen Königreiches und des heutigen Frei- staats, einschließlich Franken und Schwaben. Migrationen in der Spätantike Der deutsche Begriff „Völkerwanderung“ ist nach Meinung vieler Historiker irreführend, weil in der Spätantike keine Völ- ker, sondern nur einzelne Kriegerverbände umherzogen, die oft auch noch heterogen (d.h. aus verschiedenen Volksgrup- pen „zusammengewürfelt“) waren. Die alte (im Geschichts- unterricht vermittelte) Vorstellung, ein einheitliches Volk sei aus ihrer „Urheimat“ aufgebrochen, auf der Wanderung zu- sammengeblieben und habe sich dann am Ende woanders an- gesiedelt, gilt als überholt und widerlegt. Unter „Völkerwanderung“ versteht man heute die Migration vor allem germanischer Verbände in Mittel- und Südeuropa zwi- schen dem Einfall der hunnischen Reiterkrieger (ca. 375 n.Ch.) bis zur Invasion langobardischer Kämpfer in Italien (568); deshalb spricht man international auch treffender von „Migrationsperiode“. Germanische Wanderungsbewegungen hat es allerdings schon seit 113 v.Ch. (Kimbern und Teutonen) gegeben. Ursachen für Migrationen waren Klimaschwankun- gen, zu wenig Land, Nahrungsmangel, gewaltsame Verdrän- gung durch Nachbarvölker sowie Sehnsucht nach dem „Dolce Vita“ im Römischen Reich. Erst nach den Verschiebungen der „Völkerwanderung“ fand ab der Mitte des sechsten Jahrhun- derts die Stammesbildung (Ethnogenese) der Baiern statt. Abzug der Römer aus demAlpenvorland Ab dem 3. Jahrhundert n.Ch. wurde das weströmische Reich durch Einfälle germanischer Krieger (insbesondere Marko- mannen und Alamannen), militärisches und ziviles Chaos, Seuchen, Bürgerkriege und galoppierende Inflation immer mehr geschwächt. 476 setzte der römische Offizier germa- nischer Abstammung Odoaker den letzten Kaiser Romulus Augustulus („das Kaiserlein“) ab und ließ sich von seinen Truppen zum König von Italien (wozu auch unser Gebiet ge- hörte) ausrufen. 488 ordnete er für die romanische Bevölke- rung und die wenigen verbliebenen Truppen die Rückkehr aus den unhaltbaren Provinzen Raetien (Alpenvorland) und No- ricum (östlich des Inns) nach Italien an. Es blieb allerdings ein Teil der kelto-romanischen Zivilisten zurück, auch die Strukturen des römischen Reichs bestanden fort. Theoderich der Große 493 wurde Odoaker im Zuge des Machtkampfs mit dem Ost- gotenkönig Theoderich (450 – 526) von diesem getötet. Die Regierungszeit von Theoderich dem Großen in Italien gilt heute als bedeutend, vielleicht sogar konstituierend für die bairische Stammesbildung. Theoderich sorgte dafür, dass An- gehörige der versprengten Germanen-Stämme (Alamannen, Sueben, Thüringer, Ost- und Westgoten, Langobarden, Skiren …) und Reste der kelto-romanischen Bevölkerung südlich der Donau angesiedelt wurden. Sie sollten die „nasse Grenze“ der goto-römischen Präfektur Italia im Norden (= Donau) gegen die Franken schützen. Die bairische Stammesneubildung im Raum südlich der Donau hat sich also nach dem Zusammen- bruch der Römerherrschaft in der 2. Hälfte des 5. Jahrhun- derts bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts vollzogen. Die Baiern haben gleichermaßen germanische wie kelto-romanische Wurzeln; das zeigen auch die vielen vom Lateinischen herrüh- renden Lehnwörter und mundartlichen Ausdrücke. Auch ei- nige Ortsnamen im Raum Regensburg sind auf einen romanischen Gründer zurückzuführen (s.u.). In einzelnen Ge- genden Baierns wurde sogar bis ins 13. Jahrhundert ladinisch (ein romanischer Dialekt) gesprochen. Im Laufe der Zeit ist es dann zu einer Stabilisierung und Angleichung der verschiede- nen germanischen und kelto-romanischen Volksgruppen ge- kommen; so entwickelte sich eine kulturelle Gemeinsamkeit und ein bairisches Stammesbewusstsein. Franken 536 überließen die Ostgoten während ihres Verteidigungs- kampfes gegen Byzanz alle von ihnen beherrschten Gebiete nördlich der Alpen den Franken, um dadurch von diesen zu- mindest Neutralität zu erlangen. So wurden Rätien (Alpenvor- land westlich des Inns) und Norikum (östlich des Inns) fränkisch. Das erste bairische Herzogsgeschlecht der Agilol- finger stammt aus dem fränkischen Merowingerhaus. Und die „Bajuwaren“? Plötzlich waren sie namentlich aufgetaucht: die Bajuwaren! Zwischen dem Abzug von Militär und romanischer Ober- schicht aus dem Alpenvorland (488) und der ersten – unsi- cheren – urkundlichen Erwähnung der „Baiovarii“ (551) klaffen sechs dunkle Jahrzehnte. Der Name „Bajuwaren“, » Bairische Stammesbildung und erste Ortschaften Rekonstruktion eines Bajuwarenhauses, Regensburg-Burg- weinting
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